Der unsicher ambivalente Bindungsstil – Nähe ist nie sicher genug
„Ich will dich ganz nah bei mir – aber ich habe Angst, dass du mich nicht wirklich willst.“
Menschen mit einem unsicher ambivalenten Bindungsstil tragen eine tiefe innere Zerrissenheit in sich. Sie sehnen sich nach Nähe, oft mit ganzer Kraft, manchmal mit Verzweiflung, aber sie können sich dabei nie wirklich sicher fühlen. Denn irgendwo in ihnen arbeitet die ständige Angst: Ich werde verlassen. Ich bin nicht genug. Ich bin nicht sicher. Ich bin es nicht wert geliebt zu werden.
Dieser Stil entsteht häufig, wenn ein Kind widersprüchliche Erfahrungen mit seinen Bezugspersonen macht. Mal ist Zuwendung da, mal nicht. Mal wird das Bedürfnis nach Nähe liebevoll beantwortet, dann wieder abgewiesen oder ignoriert.
Das Kind weiß nie genau, woran es ist. Es erlebt Bindung als etwas Unzuverlässiges - etwas, das man sich verdienen oder erkämpfen muss.
Die Wurzeln im kindlichen Erleben
Diese Kinder erleben häufig, dass ihre Bedürfnisse nicht konsequent beantwortet werden. Die Bezugsperson ist vielleicht liebevoll, aber oft überfordert oder abgelenkt. Oder sie zieht sich emotional zurück, wenn das Kind zu fordernd wird.
Manche erleben auch emotionale Erpressung oder unklare Botschaften: „Ich liebe dich, aber nur wenn du lieb bist. Ich bin da, aber nur wenn du mich brauchst.“
Das Nervensystem gerät dadurch in ständige Alarmbereitschaft. Das innere Muster lautet: „Ich muss mich anstrengen, um nicht verlassen zu werden.“
Wie zeigt sich dieser Stil im Erwachsenenleben?
Menschen mit diesem Stil:
fühlen sich schnell unsicher oder wertlos, wenn ihr Partner sich emotional zurückzieht
zeigen starke emotionale Reaktionen – oft mit Überforderung, Wut oder Traurigkeit
haben Angst, nicht genug zu sein oder ersetzt zu werden
brauchen viel Bestätigung, fühlen sich aber trotzdem nicht sicher
reagieren auf Distanz oft mit Klammern, Kontrolle oder Eifersucht
spüren ihre Bedürfnisse sehr deutlich, doch sie wirken oft übergroß oder nie gestillt
kämpfen mit einem instabilen Selbstwert, der stark von Beziehungserfahrungen abhängt
Diese Menschen lieben nicht weniger – im Gegenteil. Sie lieben oft sehr intensiv. Aber diese Intensität ist von Angst durchzogen: Angst, nicht geliebt zu werden, sobald man sich zeigt. Oder Angst, den anderen zu verlieren, sobald man sich entspannt.
Wenn Nähe nie ganz reicht
In Liebesbeziehungen zeigt sich dieser Stil oft in emotionalem Auf und Ab. Nähe wird gesucht, aber sobald sie da ist, entsteht Unruhe. Der kleinste Rückzug des Partners kann Panik auslösen. Das System springt an, als ginge es um alles.
In Freundschaften hingegen gelingt es manchmal besser, sich sicherer zu fühlen – dort, wo weniger emotionale Abhängigkeit besteht. Doch sobald Bindung existenziell wird, etwa in romantischen Beziehungen, kehrt das alte Muster zurück.
Was dieser Stil braucht
stabile, verlässliche Bindungserfahrungen
Menschen, die nicht gehen, wenn es emotional wird
das Wiedererleben von echter Sicherheit, die nicht an Leistung geknüpft ist
liebevolle Begleitung im Umgang mit der eigenen Bedürftigkeit
die Erkenntnis: Ich muss niemanden festhalten, um nicht verloren zu gehen
Der ambivalente Bindungsstil ist ein Ausdruck tiefer Sehnsucht – nach Nähe, nach Verbindung, nach Sicherheit. Doch weil das Nervensystem gelernt hat, dass diese Nähe nie ganz sicher war, bleibt der innere Zustand häufig unruhig und gespannt.
Die große Aufgabe besteht darin, Vertrauen zu lernen, nicht nur in den anderen, sondern vor allem in sich selbst. Und darin, zu spüren: Ich bin genug. Auch wenn niemand da ist. Auch wenn es gerade still ist.